Eine fiktive Autobiographie
eines (ehemals) obdachlosen Kindes in Masaka, Uganda

Ich wurde in einem Dorf in der Nähe von Masaka geboren. Meine Mutter hat Körbe aus Bananenblättern geflochten und diese zusammen mit Zuckerrohr und einigen anderen Lebensmitteln aus dem Garten verkauft. Mein Vater hat ein Motorrad gekauft, mit welchem er Taxifahrten anbietet. Er musste den Kredit noch abbezahlen, ehe er das Motorrad besitzt.
Ich habe drei Brüder und eine kleine Schwester. Wir haben Fußball gespielt, lernten jeden Tag in der Schule und hatten alles, was wir für ein einfaches und gutes Leben brauchten.
Eines Abends kam mein Vater nicht mit dem Motorrad nach Hause. Er hatte einen schweren Unfall. Wie üblich in Uganda hatte er keine Krankenversicherung. Meine Familie und die Nachbarschaft legten alle Geld zusammen, aber er ist trotzdem gestorben. Ich weiß nicht ob er überlebt hätte, wenn wir mehr Geld für seine Behandlung gehabt hätten. Nach seiner Beerdigung war das Leben nicht mehr einfach und gut.
Die Körbe von meiner Mutter und das Gemüse aus dem Garten reichten nicht mehr aus. Meine Mutter konnte das Schulgeld nicht mehr bezahlen. Als ihre Ersparnisse aufgebraucht waren, reichte es auch nicht mehr um Mais und Reis zu kaufen.
In Uganda gibt es kein staatliches Sozialsystem, das uns hätte auffangen können um diese schwere Zeit zu überbrücken. Mama hatte auch kein Geld für eine neue Ausbildung. Sie wurde immer verzweifelter und trauriger. Irgendwann ging sie abends weg und meinte, sie müsse jetzt arbeiten gehen. Es gab wieder ein bisschen Geld, aber Mama ging es immer schlechter.
Sie begann Alkohol zu trinken, um Kraft zu haben, nachts wegzugehen. Ich kippte den Wodka in die Büsche, aber es half nichts. Es gab viel Streit und wir verloren unser Zuhause.
Meine Geschwister und ich bauten eine provisorische Unterkunft aus allem, was wir finden konnten. Aber ich glaube, Mama mochte sie nicht. Sie kam immer seltener dorthin, um uns Essen oder Kleidung zu geben. Als sie wieder einmal lange nicht kam, machte ich mich zu Fuß auf den Weg in die nächste Stadt, um mir selber etwas zu Essen zu besorgen. Ich lief zwei Tage, ehe ich Masaka erreichte. Dort angekommen traf ich auf andere Kinder in meinem Alter, die mir zeigten, wo man schlafen kann. Ich suchte mir einen leeren Getreidesack um nachts weniger zu frieren. Trotzdem war ich immer auf der Hut und die ganze Zeit übermüdet und reizbar. Wir sammelten gemeinsam Plastikflaschen und Metallmüll von der Straße und verkauften alles für ein paar wenige ugandische Schilling.
Vor den älteren Jugendlichen hatten wir Angst, sie waren manchmal betrunken, wie meine Mutter, und nahmen uns unser Geld wieder weg. Ich hatte auch Angst, krank zu werden, weil ich nicht wusste, wer meine Medikamente bezahlen würde. Jetzt war wohl auch ich ein „Straßenkind“ geworden. Bald rutschte auch ich in den Drogenkonsum. Es war die einzige Möglichkeit, Hunger, Angst und Kälte zu vergessen – und wenigstens für ein paar Stunden schlafen zu können.
Die anderen Kinder erzählten mir irgendwann von drei ugandischen Geschwistern, die regelmäßig allen von uns ein warmes Abendessen ausgaben und kranke Kinder ins Krankenhaus begleiteten. Barnabas, Julius und Nicholas fragten uns nach unseren Namen und organisierten mit uns Fußballspiele. Einmal im Jahr fuhren wir alle mit ihnen an den See. Wenn wir Probleme hatten, konnten wir uns an sie wenden und sie waren immer für uns da. Zweimal in der Woche holten sie uns ab und wir gingen zusammen ins Shelter. Hier wurde für uns gekocht, wir konnten unsere Kleidung waschen, die Toilette benutzen, uns waschen, Haare schneiden und uns austauschen.
Nach einer Zeit waren die drei meine Freunde und ich nannte sie „Onkel“. Deswegen erzählte ich Julius meine Geschichte. Ich zeigte ihm, wo ich zuletzt mit meinen Geschwistern gewohnt hatte. Doch sie waren nicht mehr da. Wir fragten die Nachbarinnen und sie erzählten uns, dass meine älteren Geschwister ebenfalls weggelaufen waren. Julius versicherte sich mehrfach, dass meine kleine Schwester dauerhaft bei der Nachbarin leben konnte. Er sagte ihr, dass es für Mädchen auf der Straße besonders gefährlich sei und hinterließ seine Kontaktdaten. Wir suchten auch nach meiner Mutter und fanden sie betrunken in einer Bar. Julius stellte sich vor und versuchte sie nach Verwandten oder Freunden zu fragen, aber meine Mutter war schon zu sehr in ihrer eigenen Welt, um gemeinsam überlegen zu können, wo ich wohnen könnte. Er gab ihr seine Handynummer auf einem Blatt Papier. „Wenn es in Ordnung für Sie ist, übernehmen wir die Sorge für Max“.
Seitdem lebe ich in den Schulferien mit 25 anderen Kindern und Jugendlichen im Kinderheim von Lights. Ich gehe in eine Internatsschule, eine gute Privatschule. Ich habe ein eigenes Bett und bekomme regelmäßige Mahlzeiten.
Wir sind wie eine große Familie. Manchmal besuche ich gemeinsam mit einem "Onkel" meine Mutter und meine Schwester und bringe ihnen Reis und Bohnen.
Ich freue mich sehr, dass ich jetzt wieder in der Schule lernen kann und eine gute Zukunft habe. Mein Schulgeld wird von Spendengeldern finanziert.
